Frage 1 Sie beschäftigen sich mit Nachhal- tigkeitsmanagement, sind Experte in Sachen Labels und Siegel. Wir haben inzwischen das Gefühl, in der Beziehung den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen zu kön- nen. Wie können wir uns zukünftig in diesem Zertifizierungsdschungel zu recht finden, Stichwort Green- washing? Frage 2 Gibt es bereits belastbare Zahlen oder Untersuchungen darüber, ob sich das Buchungsverhalten – sowohl im Bereich Leisure, also Freizeittourismus, als auch bei Business- und Tagungsreisen – durch nachhaltige Zertifizierungen steigern lässt? Frage 3 Ein Schwerpunktthema dieser GREEN FACTS ist Reflexion. Wir sind 10 Jahre #grünunterwegs, überdenken tagtäglich unseren Konsum, unsere Energieverbräuche und unser Handeln insgesamt. Sollten wir zukünftig vielleicht lieber auf Siegel verzichten und Nachhaltigkeit einfach weiter konsequent (vor)leben? „Es gibt eindeutig zu viele Labels – in Deutschland allein ungefähr 35 Siegel für nachhaltigen Tourismus. Davon sind einige Zertifizierungen, die keinen hohen inhaltlichen Anspruch bei den Kriterien haben; vor allem aber mangelt es an hochwertigen Überprüfungsmechanismen für zertifizierte Betriebe – oft reicht eine Selbstauskunft, die nicht vor Ort überprüft wird. Das schafft neben dem Zertifizierungsdschungel auch Raum für Greenwashing. Ich kann hier wirklich nur jedem Betrieb davon abraten, solche Labels zu nutzen, denn Gäste merken sehr schnell, ob die gemachten Versprechungen auch vor Ort eingehalten werden oder nicht. Insgesamt bin ich der Meinung, dass Unternehmen ohne große Anstrengungen ein geeignetes Label finden sollten. Unterstützung liefert der „Wegweiser durch den Zertifierungsdschungel“, der kostenfrei online verfügbar ist. Da wird klar dargestellt, welche Siegel vertrauenswürdig sind. Die Plattform „Label Online“ gibt auch eine sehr gute Übersicht zur Qualität von Zertifizierungen. Und auf Bundesebene wird gerade über eine Initiative diskutiert, die eine Art Qualitätsdach für sämtliche Nachhaltigkeitszertifizierungen im Tourismus aufbauen möchte, um insgesamt mehr Transparenz und Qualität bei den Siegeln zu schaffen.“ „Solche Effekte lassen sich nicht so schnell erreichen, und das hat auch seine Gründe: Bei Zertifi- zierungen geht es ja eben nicht um schnell gesteigerte Buchungszahlen, sondern um ein besseres zukunftsgerichtetes Wirtschaften der Betriebe selbst. Also, Zertifizierungen helfen Kosten zu senken, effizienter zu wirtschaften, bessere Entscheidungen bei Lieferanten zu treffen, zufriedene- re Mitarbeitende zu haben und insgesamt nachhaltigere – also auch hochwertigere – Leistungen anzubieten. Mit niedrigeren Kosten, besseren Produkten (z.B. in der Küche) und motivierteren Kolleg:innen sind die betrieblichen Erfolgschancen insgesamt höher. Das äußert sich dann auch wieder in neuen Zielgruppen, die erreicht werden können, also letztlich dann doch in einem ge- stiegenen Buchungsverhalten. Das sind aber mittel- bis langfristige Prozesse und keine schnellen Maßnahmen zur Kundenakquise. Bei Business-Reisen ist das mittlerweile etwas anders: Hier geht es auch immer mehr darum, dass Zertifizierungen als Voraussetzung für Buchungen gese- hen werden; nicht-zertifizierte Hotels verlieren also generell Zugänge zu Business-Kunden.“ „Beides ist wichtig. Siegel ersetzen nicht ein eigenverantwortliches und zukunftsgerichtetes Handeln eines Unternehmens, das wäre auch zu viel verlangt. Aber sie geben einen Rahmen vor, sind eine Richtschnur für Notwendigkeiten, die auch international anerkannt sind. Und sie geben Orientierung für Kunden. Das zeigen auch Befragungen: Gäste wollen sich sicher sein, dass die Angaben zur Nachhaltigkeit auch wirklich stimmen und sie haben ehrlich gesagt auch keine Lust, sich damit intensiv auseinanderzusetzen. Sie wollen eine passende und gute Dienstleistung, die im optimalen Fall auch noch gut für Mensch und Umwelt ist. Daher vertrauen sie Siegeln, die ihnen die Recherchearbeit abnehmen und generell Sicherheit geben, dass die Angaben stimmen. Ist das nicht der Fall, wirkt sich das negativ auf das Siegel und den Betrieb aus. Deshalb ist es eben auch so wichtig, dass die Labels einen Anspruch haben, dass Betriebe ihr nachhaltiges Handeln auch nachweislich umsetzen.“ Die Fragen stellte Tim Oberdieck, Hoteldirektor 15